Unkooperativ

Published by

on

„Enttäuscht und erschöpft sind wir“, seufzten die Teilnehmer*innen aus der Gruppe Gewerkschaft in der Feedback-Runde am Ende des Blockseminars. „Den ganzen Seminartag haben wir mit dem Planspiel vergeudet, alles vorbereitet, uns Verhandlungsstrategien überlegt und dann haben diese Weiber alles kaputt gemacht“, ergänzten die aus der NGO-Gruppe. „Genau. Jedes Mal, wenn wir einen Kompromiss erzielt hätten, kamen diese Menscher* und haben wieder neue Einwände vorgebracht. Ich muss sagen, dass ich persönlich von euch enttäuscht bin, Klara und Vanessa. Ihr habt euch einfach unmöglich verhalten, so stur und unnachgiebig“, meldete sich der Verhandlungsführer der Politikgruppe zu Wort. Wie auf Befehl sahen alle die beiden genannten strafend an.

Begonnen hatte es damit, dass sich Klara, die Politikwissenschaften studierte, und Vanessa, die das Lehramt in Englisch und Geschichte anstrebte, in dem Seminar zur Politischen Bildung zufällig wiedergetroffen hatten. In der Lehrveranstaltung fühlten sich die beiden recht wohl, die Teilnehmer*innen kamen aus allen möglichen Studienrichtungen, hatten verschiedene politische Ansichten, waren aber allesamt sehr offen und tolerant. Die Seminarleitung verließ sich darauf und mischte sich nicht ein.

Am letzten Seminartag fand ein Planspiel statt. Dazu wurden die Teilnehmer*innen in fünf Gruppen aufgeteilt – NGO, Gewerkschaft, Politik, Medien und Wirtschaft. Jede Gruppe bekam eine Rollenbeschreibung und den Auftrag, in Verhandlungen zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens zu treten. Klara und Vanessa übernahmen die Wirtschaft, zogen sich in eine Nische des Seminarraums zurück und begannen, sich abzusprechen.

„Mir kommt das alles sehr realitätsfremd vor“, bemerkte Klara. „Es ist ein Planspiel, und wir sollen es ausprobieren, damit wir es später im Unterricht anwenden könnten. In der Wirklichkeit würde die Vertreter*innen der Wirtschaft jedoch nie zustimmen. Die würden Lobbying betreiben und ein bedingungsloses Grundeinkommen um jeden Preis verhindern. Wollten sie nicht erst kürzlich die 40-Stunden-Woche verlängern?“ Vanessa überlegte: „Gut, wir machen das so wie du meinst. Wir müssen uns einfach gute Argumente und Strategien überlegen. Dann wird unser Seminar aber auch kein Happy End haben. So wie ich das einschätze, wollen die anderen am Ende des Tages eine Lösung ausverhandeln, mit der alle glücklich sind.“ Klara dachte kurz nach. „Im wahren Leben spielt es das auch nicht“, entgegnete sie schließlich. So beschlossen die beiden Frauen, ihren Plan umzusetzen. Sie führten mit allen anderen Gruppen Verhandlungen, brachten ihre Argumente vor, hielten besonders viel Kontakt zu den Medien, arbeiteten aber gleichzeitig konsequent gegen einen Kompromiss.

Nun saßen die beiden in der Feedback-Runde und sahen in die enttäuschten, teils feindlichen Gesichter ihrer Kommiliton*innen. Jemand aus der Mediengruppe bemerkte noch: „Wie können sich zwei Frauen nur so unkooperativ verhalten?“

Plural von „das Mensch“ – pejorative Bezeichnung eine weibliche Person; besonders in Österreich gebräuchlich.

Hinterlasse einen Kommentar

Previous Post
Next Post